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Peißnitz-Schule Januar 1946 - Februar 1947 PDF Drucken

Ein Zeitzeugenbricht einer ehemaligen Schülerin

ruth_nube_1947Ende des Jahres 1945 hörte mein Vater im Rundfunk, daß in Sachsen-Anhalt auf der Peißnitzinsel in Halle eine Internatsschule für Kinder von Opfern des Faschismus, (also meist selbst Verfolgten), gegründet werden sollte. Diese Idee stammte von Kommunisten, die im KZ Buchenwald ihren Leidensgenossen versprochen hatten, nach dem Krieg für ihre verwaisten Kinder zu sorgen. Mein Vater erkundigte sich, ob seine Tochter aus Berlin auch in dieses Internat aufgenommen werden konnte.

So stieß ich im Januar 1946 in Halle auf der Peißnitzinsel zu einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die aus etwa 45 Personen bestand. Die Jüngsten, zu denen ich zählte, waren knapp 14, die Ältesten, die unter den Nazis zum Teil schon Zwangsarbeit geleistet hatten 16 bis 18 Jahre alt. Viele von ihnen hatten Eltern gehabt, die aus politischen Gründen verfolgt worden waren, bei anderen wieder waren es sog. „rassische“ Gründe, d.h. es handelte sich in der Regel um Kinder, die von den Nazis mit dem hundetauglichen Begriff „Mischlinge“ versehen worden waren. Alle in dieser Gruppe aber hatten Vater oder Mutter verloren, und manche waren sogar Vollwaisen. Ich gehörte dazu, ich hatte als „Mischling“ überlebt. Meine Mutter hatte als Jüdin nach Ablegung des Staatsexamens für Medizin 1933 die Approbation nicht anschließen dürfen, Arbeit bekam sie auch nicht mehr, und nach ihrer Scheidung von meinem Vater emigrierte ich 1936 (ich war damals vier) mit ihr nach Prag. 1942 wurden meine Mutter und ihr zweiter Mann verhaftet, meinem Vater gelang es, mich aus Prag herauszuholen und mich nach Berlin zu nehmen. Meine Mutter, ihr Mann, mein Großvater wurden ermordet, mein Vater zur Zwangsarbeit eingezogen.

Verständlich, daß eine Erziehung im normalen Sinn auf der Peißnitzinsel nicht denkbar war. Es war aber auch in jenen Zeiten gänzlich ausgeschlossen, daß jemand mit all den Kindern und Jugendlichen eine notwendige Trauerarbeit hätte leisten können; es gab damals noch niemanden, der von den Traumata, die der Krieg, Bomben, Verfolgung, Vertreibung hinterlassen hatten, eine Vorstellung gehabt oder mit ihnen umzugehen verstanden hätte.
Das Heim auf der Insel hatte eine Art Selbstverwaltung erhalten, die von den Älteren übernommen wurde. Sie kümmerten sich um die Jüngeren nach bestem Gewissen und ihren Möglichkeiten.

An das Leben in diesem notdürftig hergerichteten Haus erinnere ich mich nur noch sehr lückenhaft. Wir jüngsten Mädchen wohnten in einem Dachzimmer, „Sperlingslust“ genannt, wir waren  die 5 Sperlinge. Geregelten Unterricht gab es noch nicht, zu unterschiedlich waren  Altersklassen und Wissensstand. Ich paßte in gar kein Schema und mußte in der Innenstadt von Halle mit einem weiten Weg eine Schule besuchen, in der es noch sehr chaotisch zuging, entsprechend unglücklich fühlte ich mich dort. Da war ich  auf meinem Berliner Lyzeum, das seine Tore ab September 1945 wieder geöffnet hatte, besser aufgehoben gewesen.

Gemessen an der großen Not, die ringsum in der Bevölkerung herrschte, wurden wir gut versorgt, wir waren gegenüber den anderen bevorzugt, das war sicher der sowjetischen Verwaltung zu danken und der Nachdrücklichkeit der Heimgründer. Wir erhielten ein Stück Land am Haus, auf dem ein Schulgarten unter der Anleitung unseres Biologielehrers entstand. Gartenarbeit war Pflichtdienst, ich erinnere mich mit Freuden daran. Er brachte frisches Zubrot zum Küchenspeiseplan. Gegen Ende des Jahres ließ der Arbeitswille im Garten etwas nach – wir hatten wohl zu viele andere Aufgaben. Da erbot sich der Vater von Karl-Heinz Lebentrau, der in Halle wohnte, die Pflege des Gartens zu übernehmen.

Wir hatten sogar in einem Stallgebäude hinter dem Haus zwei Schafe und zwei Schweine. Ihr guter Hüter war Karl-Heinz Lebentrau selbst, er fütterte die Tiere, mistete den Stall aus, als hätte er das gelernt. Ich erinnere mich an den glücklichen Moment, als ich bei der Geburt eines Lämmchens dabei war. Im Winter vor den Weihnachtsferien kam ein richtiger Fleischer ins Haus und schlachtete unsere Schweine. Alle Zink- und Wannenbehälter wurden aus der Küche nach draußen gebracht, es wurden lange Wurst-Ketten gefüllt und für unsere Küche Fleischvorräte angelegt. In den folgenden Ferien kam Karl-Heinz jeden Tag auf die Insel, um die Schafe zu füttern, bis er eines Tages den Stall leer vorfand. Und etwas später waren auch alle Fleisch- und Wurstvorräte verschwunden. Wir wollen das übrigens nicht der Besatzungsmacht anlasten, auch die Deutschen litten Hunger!

Ob es das Grunzen und Mähen unserer Tiere war, oder der Anblick junger Mädchen, das weiß ich nicht, aber sehr oft abends, wenn das große Tor sorgsam verriegelt worden war, krakeelten
betrunkene russische Soldaten vor dem Haus und verlangten Einlaß. Aber sie verschafften sich zum Glück nie mit Gewalt den Zutritt.

Noch vor Beginn der Sommerferien 1946 ging ich dann auch auf der Peißnitz in die Schule; außer Herrn Dr. Rathmann, dem Schulleiter, haben zwei Lehrer sich in meinem Poesiealbum verewigt, sie sind mir als Biologie- und Musiklehrer in ganz lebhafter Erinnerung.

Herr Dr.Lohmann, unser strenger Lehrer in Biologie und Erdkunde, hat mich gelehrt, die Pflanzen zu bestimmen und ganz genaue Zeichnungen von verschiedenen Entwicklungsstadien anzufertigen. Er führte uns zu „Expeditionen“ auf der Insel, lehrte, die Vögel am Gesang, ihrem Flug, ihren  Federn zu unterscheiden. Er war der Initiator des Gartens, seine Art, den Erdkundeunterricht zu gestalten, hat meinen Orientierungssinn geweckt, und einer Stunde mit ihm schaute ich immer wissensdurstig entgegen.

Der Musiklehrer, Helmut Rahnsch, war noch sehr jung. Er muß gerade aus der Gefangenschaft gekommen sein, so mager war er damals und kam in recht abgewetzter Kleidung. Aber sein Unterricht war schwungvoll und amüsant. Meine bisherigen Musikkenntnisse beschränkten sich mehr oder weniger auf das Absingen des Deutschlandliedes nebst angehängtem Horst-Wessel-Lied, der Braut mit dem Jungfernkranz und schüchterne Versuche auf der Blockflöte bei einer Privatlehrerin in den letzten Kriegsmonaten. Ich habe hier zum ersten Mal im Chor gesungen und mit völlig neuer Musik Bekanntschaft gemacht.

Zu Weihnachten 1946 fuhr ich nach Hause nach Berlin. Es war eine furchtbare Reise, die drei Tage dauerte und nicht ungefährlich war für ein junges Mädchen. Schneidend kalt war es, so um 20 Grad minus, und ich besaß überhaupt noch keine warmen Sachen, keinen Wintermantel. Die erste Nacht verbrachten wir im Zug, der auf dem Gleis ohne Lokomotive stehen blieb, die sich die Russen geholt hatten, und in der zweiten Nacht saß ich mit einem Mann, der sich schützend meiner angenommen hatte, auf dem Telefonhäuschen im Wartesaal von Jerichow. Als wir endlich weiterfahren konnten, kam ich in ein Abteil, in dem eine Hochzeitsgesellschaft Vorräte auspackte, von denen man in den letzten zehn Jahren nur noch hatte träumen können. Die Gesellschaft aus 6 – 7 Personen nahm mich wärmend in ihre Mitte und steckte mir die größten Köstlichkeiten zu. Bevor die Russen das nächste mal den Zug stoppten und eine Horde von Hamsterern, die in der nächsten Umgebung von Berlin auf Nahrungssuche gewesen war, mit Säcken und Koffern den Zug stürmte, waren die Reste unserer Völlerei wie vom Erdboden verschluckt unter den Sitzen verschwunden.

Ich kam tatsächlich in Berlin an und blieb bei meiner Familie bis Mitte Januar 1947. Die ganze Zeit über herrschte entsetzliche Kälte. Es hatte seit vielen Jahren nicht einen so eisig kalten Winter gegeben. Später erfuhr ich, daß meine Großmutter, die Mutter meines Vaters, in diesem Winter in Berlin verhungert ist.

Als sich meine Ferien dem Ende zuneigten, wurde beschlossen, daß mich ein Mieter aus unserem Haus mit seinem Lastwagen nach Halle mitnehmen sollte. Ich glaube, er betrieb lukrative Schwarzmarktgeschäfte, und Halle lag auf seinem Weg. Das Auto wurde mit meinen Schätzen beladen: einem Fahrrad, das mir ein amerikanischer Soldat geschenkt hatte, ein Paar Skier aus alten Beständen und einem großen schweinsledernen Koffer, dem einzigen Relikt meiner Flucht aus der Emigration 1942 in Prag. Er enthielt wunderbare Dinge, die ich als „Opfer des Faschismus“ (wie das damals hieß) auf dem Rathaus in Zehlendorf und von meiner Tante in London bekommen hatte: warme Kleidung, ein wenig zu essen und sogar Zigaretten zum Tauschen, falls mir etwas Wichtiges fehlen würde. Den neuen Wintermantel aus London trug ich zum Glück – es war ja auch bitter nötig.

Wir machten uns an einem grauen Tag auf den Weg. Der kleine Laster kam trotz Schnee und Eis relativ gut vorwärts. Vor der Elbbrücke – oder dem, was damals von ihr übrig geblieben war – wurden wir von vier russischen Soldaten gestoppt. Sie wollten mitgenommen werden, fragten ganz freundlich. Sie stiegen auf die offene Ladefläche und verschanzten sich vor dem eisigen Wind hinter dem Fahrerhäuschen, in dem wir beide saßen. Ich kann mich noch erinnern, daß sie mir leid taten, weil es doch da oben lausig kalt sein mußte. Als die ersten Häuser von Halle auftauchten, klopften sie ans Fensterchen, wollten absteigen, und wir fuhren weiter.

Als wir auf die Peißnitzinsel kamen, war es schon dunkel, aber die bereiften Bäume und der Schnee im Park ließen alles hell erscheinen, aber auch seltsam unwirklich. Das alte Haus lag unbeleuchtet da, es war totenstill. Wir klingelten, es öffnete der alte Hausmeister: Die Ferien waren wegen Kohlenmangel verlängert worden. Die Schüler, die ja alle nicht weit von hier lebten, hatte man benachrichtigt, mich in Berlin dagegen vergessen. Es half alles nichts, ich mußte diese Nacht im Hause bleiben und konnte von Glück reden, daß überhaupt jemand da war! Im Park hier gab es kein anderes Haus weit und breit, ich wäre erfroren.
Mein Nachbar aus Berlin erklomm die Ladefläche seines Lasters, um meine Sachen herunter zu holen. Aber außer meinem Koffer war nichts mehr da. Verschwunden das Fahrrad, die Skier dahin. Und die bitterste Enttäuschung kam noch, als ich oben im Dachzimmer, das wir sonst zu fünft bewohnten, meinen Koffer öffnete: er war mehr oder weniger leer! In der Rückschau habe ich später immer gedacht: es hätte noch viel schlimmer kommen können! Aber im Augenblick war es ein Schlag und nur noch zum Heulen.

Am nächsten Morgen fuhr ich nach Torgau an der Elbe, wo mein Vater seit Ende 1946 Landrat für Kultur war. Wir hatten im 3. Stock des linken Seitenflügels von Schloß Hartenfels eine Wohnung zugewiesen bekommen. Ein wundervoller Blick aus dem riesigen Turmzimmer über die unter uns liegende Elbebrücke und über das weite Land entschädigte ein wenig für die Kälte, schlecht funktionierende Öfen und andere Mißlichkeiten. Damals froren alle Wasserleitungen zu, wir waren gezwungen, Wasser unten vom Bäcker in Eimern hinaufzuschleppen und unsere körperlichen Hinterlassenschaften getrennt in Zeitungspapier einzuwickeln. In der Not warfen wir sie dann aus dem Fenster des Hartenfelser wuchtigen Schloßturmes, in dem einst die Pferde bis in den dritten Stock reiten konnten, in den verwilderten Schloßgraben. Unten an der Elbebrücke stand ein russischer Soldat Wache. Er schaute unserem Treiben zu, schüttelte den Kopf und rief hinauf zu uns: „Nix cultura!“

Ich blieb noch etwa 2 –3 Wochen in Torgau bei meinem Vater und seiner neuen Frau und kehrte dann auf die Peißnitz zurück. Wer nicht zurückkehrte war unser Heimleiter und die Lehrerschaft, sie hatten uns einfach verlassen. Verlassen hatten uns auch die genannten Fleischvorräte. Die „Großen“ übernahmen nun ganz die Regie, wir lebten mehr oder weniger in den Tag hinein. Ich hielt es für unter meiner Würde, die alten braunen langen Strümpfe anzuziehen, die noch mit Knöpfen an einem Leibchen befestigt wurden und lief in Kniestrümpfen herum. Das goldene Zeitalter der Strumpfhose war noch nicht gekommen. Wir tobten auf dem Eis, und ich lief wochenlang mit zwei aufgeschlagenen Knien, deren Heilprozeß einfach nicht voranschritt: drei große Narben zeugen davon.

Dann kam der Frühling mit Macht und weckte auch unsere Unternehmungslust. Der Frühlingswind brauste und die Eisschollen auf der Saale, die die Wiesen überschwemmt hatte, krachten wirbelnd vorüber. Wir hatten ungeheuren Drang etwas zu tun, holten die alten Wäschezuber, Wannen aus Holz und Zink (die wir sonst auch für das Samstagabendbad und die Wäsche benutzten) aus dem Keller, besorgten uns Paddel oder Stöcke und stießen damit in die Saale. Kein Kind verschwendete auch nur einen Gedanken an Kentern oder Ertrinken im eisigen Wasser.

Just diesen Freudentaumeltag hatte sich mein Vater für einen unangemeldeten Besuch erkoren. Er mußte uns aus dem Wasser holen, war entsetzt und lief sofort ins Ministerium, um sich zu beschweren. Der zuständige Mann, der das Heim mitbegründet hatte, war Ministerialdirektor Otto Halle, dessen Sohn im übrigen auch in unserem Haus lebte. „Was willst du, Nube“, sagte er zu meinem Vater, „Die Lehrer sind weg, ich habe niemanden, der die Arbeit dort machen will. Weißt du nicht einen Menschen, der uns helfen könnte??“ Mein Vater überlegte und sagte schließlich: „Vielleicht kann ich dir meine Frau schicken – wenn sie es machen will“.

„Ach, übrigens Nube, ich muß dir noch was zeigen, komm mit“. Und Herr Halle führte meinen Vater in das größte hallische Gefängnis, erklärte ihm, daß es unverantwortlich sei, all die jungen leichten Straftäter hier unter den schweren Jungs und Mördern in total überfüllten Zellen  sitzen zu lassen, sie würden noch völlig verdorben. „In Torgau steht ein Gefängnis leer, ich möchte, daß du dort ein Jugendgefängnis einrichtest.“ Mein Vater versuchte sich zu wehren: „Das kann ich doch nicht, so etwas habe ich noch nie gemacht“. Aber da es absolut notwendig war, daß es einer machte, - sowohl auf der Peißnitz als auch in Torgau -  wurde mein Vater Ernst Robert Nube Leiter eines Jugendgefängnisses in Torgau und seine Frau Gudrun Heimleiterin auf der Peißnitz und in Droyßig.

Sie übernahm die Aufgabe als Laiin, aber mit großem Elan und bemerkenswertem Organisationstalent. Denn wenig später stand der Umzug von der Peißnitz nach Droyßig bevor. Die Besatzungsmacht beanspruchte die Villa auf der Peißnitz – so hieß es – und gleichzeitig hatte sie die Gebäude der ehemaligen Erzieherinnenanstalt in Droyßig verlassen.

Der Umzug – nicht alle Kinder kamen mit – geschah wohl in den letzten Februartagen 1947. Wir wohnten zunächst in der hinten im Gelände liegenden Villa, die einst den Kindergarten beherbergt hatte. Gudrun Nube beaufsichtigte den Umzug und die Renovierung im Hauptgebäude. Sie besorgte von der Firma Villeroy und Boch, die damals ihren Sitz noch in Torgau hatte, Geschirr für das Haus, und es ist ihr gelungen, bei den umliegenden Bauern durch Beharrlichkeit Lebensmittel zu erbetteln. Sie bestand erfolgreich viele Diskussionen mit den Älteren, die vehement ihre eigenen  Wege gehen wollten. Wir hatten wenig Unterricht, aber es war Frühling und der Wald fing gleich hinter dem Gelände an. Hier war der Waldboden voller Anemonen, Himmelschlüssel, alles blühte.  Und vor allem blühten in jenem Jahr die Maikäfer. Sie flogen zu Tausenden, und ich sehe und höre uns Mädchen noch kreischen, als uns die Jungs – wir lagen schon im Nachthemd in den Betten – Schüsseln voller Käfer über die Hemden ins Bett schütteten! Nie haben unsere Hühner, die wir offenbar hielten, schöner geschmaust.

Einige der ersten Lehrer von der Peißnitz tauchten wieder auf, der Schulleiter Herr Dr. Rathmann und Herr Dr.Lohmann; neue Lehrer kamen hinzu, nachdem die Lehrervillen renoviert worden waren. Herr Rahnsch war nicht mitgekommen.

Wir zogen in das Haupthaus um, und die Schule wurde ab August 1947 für Interne und Externe erweitert. Viele neue Schüler und Schülerinnen aus der Droyßiger und Zeitzer Umgebung stießen zu uns. Eine große Anzahl von ihnen waren Vertriebene, hatten also auch schon ein schweres Paket als Kinder getragen. Die couragierte Heimleiterin wurde nicht mehr gebraucht; ihr Weggang markierte gleichzeitig das Ende der Antifaschule, die auf der Peißnitz gegründet worden war. Es begann die Ära der Landesheimschule Droyßig bei Zeitz.

Von meinem Musiklehrer habe ich schon erzählt. Er hat mir Noten ins Poesiealbum geschrieben, ein „Abschiedsquartett“.  -  Das Leben geht manchmal seltsame Wege:

Gut dreißig Jahre nach meinem Peißnitz-Aufenthalt, geschah es in Berlin, daß der Sohn einer meiner Freundinnen heiratete. Ich kannte die junge Braut schon lange und fragte sie eines Tages:  Wie heißt du eigentlich mit Mädchennamen?“  „Rahnsch“, sagte sie. „Ach, Rahnsch, so hieß mein sehr verehrter Musiklehrer einst im Internat in Halle, Helmut Rahnsch“. „Ja“, sagte sie, „stimmt, das war mein Vater, Helmut mit Vornamen, er war Musiklehrer“.
Er hatte viele Jahre in Berlin in meiner unmittelbaren Nähe gewohnt und war vor wenigen Tagen gestorben. Wie schade, daß ich ihn nicht mehr getroffen habe.

Berlin Januar 2007 / 2011
Ruth Nube

Dieser Text erschient auch gekürt und in zwei Teilen im Peißnitzboten 2011/ 2012